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Kopenhagen und hygge – Hype oder Happiness?

Was macht die Dänen zum glücklichsten Volk der Welt?

Laut den Statistiken des World Happiness Report der UNO, sind die Dänen sowohl die glücklichste Nation Europas, als auch weltweit eines der Länder mit der höchsten Glücksquote. In der dänischen Hauptstadt Kopenhagen gibt es sogar ein nationales Institut für Glücksforschung (The Happiness Research Institute), welches sich mit dem Wohlergehen und der Lebensqualität der dänischen Bevölkerung befasst. Die dänische Theorie des Glücks soll scheinbar auf dem Lifestyle-Phänomen hygge beruhen. Doch wobei handelt es sich überhaupt bei diesem Konzept? Ist es ein durch Publizität inszenierter Humbug oder eher der fundamentale Grundstein des Glücks?

Film: Kodak Professional Tri-X 400ASA 35mm. © Anouk Thill

Hygge (»hüg-ge«, Deutsch: Gemütlichkeit) ist weitgehend mehr als nur ein Lifestyle; es ist das dänische Geheimrezept zu einem glücklichen und erfüllten Leben. Hygge umschreibt eine Lebenseinstellung, die das Gemütliche, das Familiäre die Nestwärme, den Schutz und das Verwurzeltsein, aber auch das Gemeinschaftsgefühl und die Zugehörigkeit an eine Gruppe in den Vordergrund stellt. Hierbei geht es demnach darum, das Gefühl der Wärme und der Geborgenheit in den kalten und dunklen skandinavischen Wintermonaten zu fördern. Zum Beispiel verwandeln sich die dänischen Häuser in diesen Perioden durch das Einsetzen von Kerzen oder Kaschmirdecken in ein Paradies der Häuslichkeit und Gemütlichkeit, und machen die lange Aufenthaltsdauer im Inneren nicht nur ertragbar, sondern genießbar (hyggelig).

Ein weiterer Aspekt von hygge ist das Zusammengehörigkeitsgefühl. Nicht nur im Kreis der Familie, sondern auch in der gesamten Gesellschaft steht das Allgemeinwohl über dem Wohlbefinden des Einzelnen, der Mensch über Besitztümern, Bescheidenheit über Egozentrik. Demnach gibt es eine Homogenität zwischen den verschiedenen sozialen Schichten, die sich anders als in vielen anderen westlichen Ländern, nicht voneinander abstoßen, sondern viel eher kooperieren und als ein Ganzes interagieren. Die Identität des Menschen beruht nicht auf seinem sozialen Status oder seinem  beruflichen Ansehen. Eine Hierarchie zwischen den verschieden Berufen gibt es nicht. Handwerkliche Berufe werden nicht entwertet und somit schließen die Dänen die soziale Exklusion aus. Der Fokus im Leben der Dänen liegt auf der Suche nach Erfüllung und der Wertschätzung der kleinen Dinge des Alltags. Arbeit und Geld sind zweitrangig. Das eigene Glück überwiegt dem Streben nach materiellen und kapitalistischen Gütern.

Materielle Besitztümer ändern nur selten etwas am Grad unserer Zufriedenheit. Ganz anders emotionale Erlebnisse. Das Haben kann niemals das Sein ersetzen. 

- Ilse Crawford

Superkilen. Film: Kodak Professional Tri-X 400ASA 35mm. © Anouk Thill

Dänemark macht mit seinem offenen Bildungssystem, der Gleichstellung von Mann und Frau, einer gerechten Einkommensverteilung, einer der höchsten Einkommensdurchschnitte weltweit sowie eine der niedrigsten Arbeitslosenrate Europas auch auf ökonomischem und sozialem Plan eine gute Figur. Das funktionierende Gesundheitssystem und die Priorität einer ausgeglichenen, lokalen, saisonalen und zum Großteil biologischen Ernährung (The New Nordic Cuisine), lassen die Dänen auch gesundheitlich vorbildlich aussehen. Umweltbewusstsein und Ökologie werden in Dänemark, vor allem aber in Kopenhagen, ganz groß geschrieben. Die Fortbewegung mit Hilfe des Fahrrads entspricht hier der Normalität. Die Hauptstadt wird kontinuierlich auf Fahrradwege ausgelegt, um somit (voraussichtlich im Jahre 2025) die erste C02-neutrale Stadt Europas zu sein.

Auch architektonisch ist es den dänischen Architekten gelungen, die modernen, dynamischen  Bauten mit den idyllischen, alten Hafenhäusern harmonisch zu vereinen, was man anhand der Gegend des Nyhavn belegen kann. Es geht viel eher darum, einen eigenen, unkonventionellen, aber geschmackvollen Stil zu erschaffen, als imposante und protzige Gebäude zu errichten, die sich von der Umgebung abstoßen. In Sachen Inneneinrichtung legen die Dänen Wert auf minimalistische, aber qualitativ hochwertige Designartikel. Sie bevorzugen ein extravagantes und authentisches handgefertigtes Einzelstück von langer Lebensdauer, anstelle von einem in der Fabrik hergestellten Massenartikel (ganz nach dem Motto ,,Qualität statt Quantität“). Der Habgier und der unstillbaren Kauflust stellen die Dänen ihre materielle Bescheidenheit gegenüber.

Auf die Beschaffenheit des Tages selbst einzuwirken, das ist die höchste aller Künste. 

- Henry David Thoreau

Nyhhavn. Film: Kodak Professional Tri-X 400ASA 35mm. © Anouk Thill

Zusammenfassend ist hygge eine komplexe Lebensweise mit unzähligen Komponenten (Erziehung, Gesundheit, Design usw.). Der gemeinsame Nenner all dieser Aspekte ist die Harmonie und die Homogenität. Die Kunst, das Besondere im Alltag zu erkennen, die Wertschätzung, von dem was man besitzt, die soziale Gleichstellung aller Menschen, unabhängig von Geschlecht, Herkunft oder Nationalität, sowie das Leben im Hier und Jetzt sind die Grundprinzipien von hygge. Wichtig ist daneben auch, dass man die Arbeit nie über das Private stellt. Würde man ein Slogan für dieses Lifestyle-Phänomen suchen, würde dieses etwa „Weniger ist mehr“ oder „Genieße den Tag“ lauten. Durch die sozialen Medien hat sich der Lifestyle-Trend schnell zu einem weltweiten, oft missinterpretierten Hype entwickelt. Allerdings ist und bleibt hygge für die Dänen, in seiner ursprünglichen Bedeutung, und unabhängig von den Medien, der Weg zum Glück.

Nach meinem 5-tägigen Trip nach Kopenhagen hat die darauffolgende Auseinandersetzung mit Texten und Büchern rund um das Thema hygge mich dazu angespornt, die gesamte westliche Workaholic- und materielle Konsumgesellschaft, sowie das dauerhafte Wettbewerbsverhalten und den Erfolgsdruck zu hinterfragen. Demnach wurde mir die Wichtigkeit einer guten Balance zwischen engagierter Beteiligung (Arbeit, Studium) und persönlicher Freiheit (Privatleben, Freizeit) bewusst. Hygge wird in Dänemark als Antithese zu Exzess verstanden. Wir begehen also Fehler, wenn wir glauben, materielle Dinge böten uns mehr Sicherheit als zwischenmenschliche Beziehungen und physische Interaktion. Da hygge ebenfalls die Bereitschaft erfordert, sich von Ablenkungen wie z.B. technischen Errungenschaften abzuwenden, um sich dem Moment hinzugeben, wurde mir bewusst, wie viel Zeit man in der vernetzten digitalen Welt vergeudet.

Jeder kann hygge in seinen Alltag integrieren, man muss nur lernen, die kleinen Dinge des Alltags wertzuschätzen. Ein gutes Buch, ein gemütlicher Abend vor dem Kamin oder das Beisammensein mit Menschen, die uns wichtig sind; all diese Aspekte sind Bestandteile von hygge.

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Anouk

Anouk

20, Studentin. Deutsche und englische Literatur. Reisen und analoge schwarz-weiß Photographie. Natur und Botanik. Musik und Kunst.

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